Man kann das Mantra fast schon nicht mehr hören: „Digitale Transformation“ schallt es aus jedem Unternehmen im Kanon der Geschäftsführungen und es wird nach Kräften geschraubt, gewerkelt und gewandelt, wo es nur geht. Zur Grundausstattung der digital transformierten Marketing-Fachkraft gehört ab sofort ein Laptop, Glasfaser-Anbindung und ein ganzer Haufen neuer Apps für Videomeetings, Social Commerce, Omnichannel-Kommunikation und Prozess-Automatisierung. Doch was passiert eigentlich mit den Menschen?
Was wird zum Beispiel aus den Trade Marketing Mitarbeitern, die ihr Leben lang POS Zweitplatzierungen auf ¼ Chep-Paletten inklusive Gewinnspiel-Aufsteller entwickelt und produziert haben?
Besteht bei diesen Menschen der digitale Wandel tatsächlich in der Umstellung auf Digital Signage und der weitergehenden Entwicklung zu Beacon-getriggerten Shelf- oder gar Einkaufswagen-Displays? Es ist eine Frage der Zeit, wann hier die Erkenntnis Einzug hält, dass solche Gadgets eher Randerscheinungen im digitalen Wettrüsten sind. Und auch die Einführung von VR-Erlebnissen im Omnichannel-Commerce oder Mobile Push Notifications für Upsells in Echtzeit machen aus einer tradierten Marketing-Fachkraft noch lang kein Marketing Engineer. Denn dazu wäre erst mal ein dezidierter Blick vom Balkon auf das digital transformierte Treiben in Marketing und Vertrieb nötig. Wer jedoch sein Leben lang auf der operativen Marketing-Tanzfläche Staub aufgewirbelt hat, kann den Anforderungen von digital transformierten Marketing Operations und neuster Marketing-Technologie schlichtweg nicht gerecht werden. Zugegeben schmerzt das, weil durch die Kombination aus technischer Überforderung und der Unfähigkeit Prozesse strategisch zu analysieren, Mitarbeiter unvermeidlich ins Dauer-Power-Stress-Level kommen. Bleibt in der Konsequenz also nur ein nicht enden wollender beruflicher Leidensweg oder der Rückzug per Kündigung. Denn Fakt ist, dass im Wettbewerb stehende Unternehmen sich einem tiefgreifenden Wandel zur digitalen Transformation nicht verstellen können. Die Konkurrenz klopft schließlich jeden Tag erbarmungslos an die Tür und erinnert daran, dass man sich es schlichtweg nicht leisten kann die neue Realität zu verschlafen.
Was wird aus IT-Mitarbeitern, die ihr Leben lang Schnittstellen zwischen ERPs, Mid-Office und E-Commerce programmiert haben?
Das gleiche Ergebnis: Es fehlt der Blick auf das große Ganze. Denn eine fraktale, denn überalterte Systemlandschaft in tradierten Wertschöpfungsketten wird nicht durch die nächste Verknüpfung von Teillösungen digital transformiert. Selbst der Großteil der Start-Ups ist zwar phygital bestens präkonditioniert, aber in der Realität zumindest bis zum Minimal Viable Product leider auch nur kleinteilig unterwegs. Man gibt sich scheinbar mit kleineren Stücken vom Kuchen zufrieden, statt mal den ganzen Kuchen ins Visier zu nehmen. Ausnahmen bestätigen zum Glück die Regel, was die großen Venture Capital Geber aus dem Valley mit Ihren Investments auch in Deutschland bestätigen.
Der entscheidende Paradigmenwechsel findet aber auch hier auf der personellen Ebene statt. Wer meint mit Schnittstellen Know-How für den digitalen Wandel gut gerüstet zu sein, hat die Rechnung ohne die Vielzahl an Freemium Connectoren gemacht. Dazu sind echte System Engineers längst keine Coding Nerds mehr. Wer braucht noch Kenntnisse in Java, PHP und HTML in Zeiten von GPT3? Mittels Few Shot Learning ist der Deepl für die Programmiersprache der Wahl schnell installiert und was aktuell noch Mangelware im Recruiting Markt ist, wird morgen zum Ladenhüter: Der IT-Administrator wie auch später die Gilde der Coder.
Was wird aus den Vertriebsmitarbeitern, die ihr Leben lang allokiert haben?
Am schlimmsten wird die Erkenntnis bei denjenigen einschlagen, die die Kräfte des Wettbewerbs völlig unterschätzt haben. Insbesondere tobt der Kampf um Marktanteile aber bereits seit Jahrzehnten gnadenlos: Mit Dumpingpreisen weit unterhalb der Einkaufskosten. Das alles ist zwar ärgerlich, dient aber dem Zweck der Marktanteilsgewinnung bzw. Frequenzerhöhung im Handel und wird deshalb nicht aufhören. Es geht schließlich darum, wer das Endgame für sich entscheiden kann, und das werden keine Vertriebler sein, die eigentlich nur Bedarf stillen. Wer meint, er sei ein guter Verkäufer, nur weil er einem Kaufwilligen etwas „verkauft“ hat, der irrt gewaltig. Schließlich hat er nichts dazu beigetragen, dass ein anfängliches Interesse zu einem definitiven Kaufwunsch geworden ist. Der vermeintliche Verkäufer hat also nur den zeitnahen und konkreten Bedarf gestellt, in dem er auf eine proaktiv gestellte Anfrage mit einem Angebot reagiert hat. Ein wirklicher Vertriebler wartet nicht so lange, bis Bedarf entsteht. Ein wahrer Vertriebler überzeugt nicht – er überredet zum Kauf. Völlig unerheblich, ob der vor ihm stehende interessiert ist oder gar einen Bedarf hat. Hauptsache verkauft! Nichts anders zählt. Und um dieses Ziel zu erreichen, braucht es Ressourcen für den Vorverkauf. Landläufig Marketing genannt. Ressourcen wiederum verteuern das Angebot und belasten damit die Preis-Leistungsfähigkeit. Dieses Dilemma löst einzig eine digitale Transformation dieser Ressourcen hin zur Automation. Denn nur hoher Vorverkaufsdruck mit geringsten Ressourcen werden zukünftig Wettbewerbsfähigkeit versprechen. Wer das nicht erkennt, der wird zusehen können, wie Umsatz und Marge kontinuierlich gegen Null absinken. Und damit auch die übliche Provision, von der ein guter Vertriebler lebt. Das tut weh - aber „the Survival of the fittest“ wird die logische Konsequenz beim digitalen Wandel im Vertrieb sein.
Werden Influencer die neuen Marketing-Heroes?
Content Creator heißen sie Neudeutsch. Die selbsternannte Elite des Social Webs und für dessen Plattform Betreiber die dringend benötigten Ruderer auf den Schlachtschiffen im Social Media-Ozean. Ohne diese kostenlosen Redakteure, die getrieben von Eitelkeit kein Selfie auslassen, würde es still werden in „The Gram“ & Co.. Aber gerade dort findet immer mehr die Inspirationsphase für die Bedarfsweckung an. Werden also Influencer zu den wahren Marketing-Helden im Markt von Morgen?
Gehen wir es mal rational, nüchtern und methodisch an:
Der Influencer ist grundsätzlich gekommen, um zu bleiben. Schließlich zeigen erfolgreiche Cases, dass man mit einem gut geölten Insta-, YouTube- oder Facebook-Account vermeintlich einfach eine Menge Geld machen kann. Supercar-Blondie lässt grüßen. Dieses Modell basiert aber derzeit noch auf Affiliate-Provisionen für die mit großer Reichweite generierten Interessenten. In der Fachsprache korrekt bezeichnet geht es also um Lead & Demand Generation für den Top Funnel mit hoher Conversion-to-sell Wahrscheinlichkeit. Die auf dem Markt agierenden Start-Ups mit ausreichender Venture Capital Finanzierung und dementsprechendem Wachstumsdruck wissen solche Lead-Lieferanten zu schätzen. Sie erkennen die Goldadern in solch einem Lead Zufluss und spinnen daraus Wertschöpfungsquellen mit hohem Customer Lifetime Value. Während sie zugegeben von der Mehrzahl der längst überholten Marketing-Fachkräfte belächelt werden, weil die Weitsicht nebst vielen anderen ökonomischen Skills schlichtweg fehlt. Aber dieses Vorurteil wird sich als fataler Fehler herausstellen, denn Hochmut kommt bekanntlich immer vor dem unausweichlichen Fall. Denn Influencer sind mitnichten beschränkt und es ist eine Frage der Zeit, wann sich die ersten Content Creators zu fachlich versierten Marketingexperten weiterentwickeln und damit vertriebliche Mittelmänner wie Distributionspartner in Wertschöpfungsketten ausschalten.
Marketing-Fachkräfte wie auch ihre liebgewonnenen Agenturen wiederum bleiben beharrlich da, wo sie stehen. Am liebsten in der Komfortzone. Schließlich kann man Wein predigen und zeitgleich Wasser trinken. Schließlich kann man ein gestern erfolgreiches Vermittlungs-Provisionsmodell auch morgen noch erfolgreich aufrechterhalten. Aber spätestens nach der Dürre der Pandemie sind sämtliche Innovationsrufe verhallt und die Rückkehr ins plötzlich sinnflutartige Tagesgeschäft hat erst mal absolute Priorität. Schließlich wollen kaufwillige Kunden erst einmal bedient werden und wer soll´s denn machen, wenn nicht Marketing & Vertrieb? Dabei verkennen die tradierten Fachkräfte, dass ihr Wissen vom Vorverkauf bis zum Opportunity Management eben kein Hoheitswissen mit Exklusivitätsrecht ist. Spätestens, wenn der erste Influencer anfängt selbst Marketing und Vertriebs Experte in einer Person zu werden und sich das nötige Fachwissen aneignet, um die Affiliate Provision um die deutlich höhere Vermittlungsprovision zu ergänzen, wird die Luft dünn. Denn im Gegensatz zum Influencer kann eine tradierte Marketing-Fachkraft nicht so schnell das Handwerk des passionierten Content Creators für sich erlernen.
Systemische Fertigkeiten kann man erlernen - Haltung und Leidenschaft nicht!
In diesem oftmals zitierten Satz aus dem Leadership Management Handbuch steckt das ganze Dilemma der Marketing-Fachkräfte im Kampf mit den invasiven Influencern. Wirklich erfolgreiche Influencer sind die wahren Helden im Conversiongetriebenen E-Commerce. Sie machen Lust und verringern dazu noch Preissensibilitäten mit gekonnt inszenierten Wünschen für ihre Zielgruppe. Dazu kommt eine zugesprochene Authentizität bei den reichweitenstarken Empfehlungen, was in Kombination zu nachweisbar hohen Konversionsraten führt.
„Ja, aber…“ hallt es da sofort auf den Reihen der Marketers. Das können wir doch auch! Und überhaupt – spätestens, wenn es Rückfragen zu vermittelten Käufen gibt, ist der gute alte After Sales Dialog, aufgesetzt und gesteuert durch erfahrene Marketing Manager durch nichts zu ersetzen, oder?
Das, liebe Marketing-Kollegen ist wie so oft zu kurz gedacht. Denn erstens lockt keine amateurhafte Produktempfehlung in der gestelzten Tonalität konzerngeschmeidiger Marketing-Soldaten eine ernstzunehmende Menge an Interessenten wirklich hinter dem Ofen vor und auch ein lasziv in Szene gesetztes Dekolleté der Praktikantin sorgt zwar für Traffic – aber erstens: leider bei der falschen Zielgruppe und zweites: für jedes nur halbwegs seriöse Unternehmen ist das Risiko des damit verbundenen Reputationsverlustes schlichtweg zu hoch. Drittens sind die neuen „Vertriebler“ versiert in der eigenen Selbstreflexion und halten sich eben nicht für Marketing&Sales-Allround-Genies. Sie wissen sehr genau, dass die Hose kurz wird, wenn der geneigte Käufer dann doch noch eine Rückfrage zum angebotenen Produkt, Service oder Marke hat und überlassen das gern den zahlreichen Profis in den After-Sales-Service-Centern notabler, freier und externer Anbieter. Dafür gibt man einen Anteil an der Influencer-Provision ab und alle sind zufrieden.
Fazit:
Digitale Transformation im Marketing wird zu tiefgreifenden Paradigmenwechseln führen. Viele einstige Marketing-Gurus, hochintelligente Nerds und die Masters of the Sales Universe werden hart aufschlagen, auf dem digitalen Nährboden gnadenlos rationalisierter Wertschöpfungsketten. Das klingt hart, ist aber von Zeit zu Zeit durchaus reinigend. Ob Influencer das Ruder gänzlich übernehmen sei dahingestellt. Aber feststeht, dass eine Marketing-Fachkraft zum Marketing Engineer werden muss, wenn sie im Rennen bleiben will. Denn Automation, Transformation und Datenhoheit werden die Schlüssel für erfolgreiche Marketing-Fachkräfte von morgen sein. Kreation und Produktion bleiben dabei weiterhin zentrale Arbeits- Bausteine im Tagesgeschäft des Marketers. Allerdings wird ihr Stellenwert durch Automation und Skalierung komplett neu zu definieren sein.