MarTech Evangelist Tobias Voigt über den Puls der Zeit in Sachen KI und Marketing Automation.
Für viele Agenturen ist es der absolute Horror. Teufelswerk. Der Super-GAU, wenn ein neuronales Netzwerk, auch künstliche Intelligenz oder kurz KI genannt sich aufschwingt, die Aufgabe der Kreation zu übernehmen. Denn so schmissige Agentur-Mantras wie „Creativity is the last legal unfair advantage“ werden mittels KI in die Gebetsmühlen der ewig gestrigen Mad Men geführt. Dazu kommt, dass laut „State of Inhousing 2019“ Studie und der darauf folgenden Studien des MarTech Anbieters Bannerflow mittlerweile mindestens 80 % der befragten Marken und über 90 % der befragten Inhouse-Berater den ROI im Marketing als wichtigeres Resultat einschätzen als den Fokus auf Kreativität zu legen. Da kommt also eine effiziente KI, die kreativ wird, gerade recht.
Wer meint, das wäre aber noch Zukunftsmusik, hat den Puls der Zeit noch nicht erkannt: Lexus, die Luxusmarke von Toyota hat 2018 das Skript für einen TV-Spot von IBMs Supercomputer WATSON schreiben lassen. Das war vor vier Jahren (!). Gefüttert wurde die KI dabei mit Content aus Kampagnen von Auto-Luxusmarken der vergangenen 15 Jahre, die mit Löwen bei den Cannes Lions ausgezeichnet wurden. Damit nicht genug, wurden die Datenbasis um sogenannte „Emotional Intelligence-Daten“ des Video Dienstleisters UNRULY angereichert. Damit wurde WATSON dann befähigt, Kombinationen aus Audio, Text, Ort und Emotionen so zu verpacken, dass die gewünschte Markenbotschaft zum Desired Response wird. Eine klassische Agentur Aufgabe, welche die Kreativen als eine für Maschinen unerreichbare Kernkompetenz angesehen haben. Bis jetzt!
Herausgekommen ist ein ansehnlicher Film mit Inhalten, die viele Automotive-Marketers von Ihren Kreativ-Agenturen gefühlt schon zig-fach präsentiert bekommen haben: Fahrende Autos per Drohnen Perspektive in hügeligem Gelände mit Blick aufs Meer….
Hier geht es zum Film: https://www.youtube.com/watch?time_continue=4&v=6qEbgOKXpLg
Wir haben da eine Künstliche Intelligenz gebaut,
die ist so gefährlich, dass wir es nicht verantworten können,
euch mehr als ein kleines Stückchen davon zu geben.
Elon Musk
Aber nicht nur ganze Filme kann eine KI mittlerweile schreiben. Auch beim Texten sind wir nicht weit entfernt von der auf Stichwort selbstschreibenden Maschine. Zum Beispiel das im Mai 2020 veröffentlichte Sprachmodell GPT-3 der non-profit Organisation Open AI (zentraler Geldgeber: Elon Musk) generiert synthetische Textbeispiele als Reaktion auf eine willkürliche Eingabe. Dabei wird GPT-3 mit einem einfachen Ziel trainiert: Auf Basis eines vorhandenen Textes das nächste Wort vorhersagen. Dazu bekam die KI keine weiteren Regeln, keine Syntax, keine Grammatik, kein Satzbau – nur eine Datenbasis von 40GB Text. Aktuell wird schon über eine Neuauflage auf GPT-4 spekuliert. Ein erster Release-Termin ist unerfüllt geblieben.
Herausgekommen ist eine KI, die so gekonnt Texte in wahnwitziger Masse und Geschwindigkeit verfasst, dass Elon Musk sich zu oben zitierter Aussage gezwungen sah. In den falschen Händen würde solch eine Texterstellungs-KI nun mal Fake-News in ungekannter Qualität und Masse verbreiten können. Um aber einen Eindruck von der aktuellen Leistungsfähigkeit solcher KI-Projekte zu bekommen, hat Adam King eine um die Hälfte abgespeckte Version der Open AI veröffentlicht unter: https://app.inferkit.com/demo
Viel Spaß damit insbesondere an die ganzen PR-Agenturen, die Texterstellung als eine für Maschinen unerreichbare Kernkompetenz angesehen haben. Bis jetzt!
Läutet KI sogar das Ende der Modellagenturen ein?
Ein weiterer Coup ist die Website https://generated.photos. Ein Team von KI-Experten um den New Yorker Ivan Braun hat ein neuronales Netzwerk entwickelt, welches menschliche Gesichter generiert. Stand derzeit: über 100.000 individuelle Gesichter bietet die Website kostenlos an. Keine Gebühr, keine Model Releases – ein Credit an der Veröffentlichung reicht den Content-Virtuosen und ihrer Maschine völlig.
So ganz nebenbei wird damit auch das Casting deutlich schneller, effizienter und mittels der richtigen Schnittstelle vielleicht demnächst sogar automatisiert. Denn generated.photos will zukünftig die Verwendung von Fake-Portraits erleichtern und viele Einstellungsmöglichkeiten bieten, so dass man gezielt das Aussehen der gesuchten Gesichter bestimmen kann.
Zu Texten kommen jetzt also auch Gesichter, die aus einer KI generiert werden. Da ist es nicht mehr weit, dass sogar ganze Werbekampagnen mit tausenden von Content-Snippets kontextbezogen von einer KI erstellt wird. Das ist dann die komplette Aufgabe einer Kreativ-Agentur, welche die Musketiere der Agentur-Arena als eine für Maschinen unerreichbare Kernkompetenz angesehen haben. Bis jetzt!
Und ja – um es auf die Spitze zu treiben: Casting und Modellagenturen, Film-Produktionen und Fotografen sehen die Auswahl und das Einfangen menschlicher Schönheit, Gestik und Individualität als eine für Maschinen unerreichbare Kernkompetenz an. Bis Jetzt!