Man muss es ja auch mal sagen: Wie hat man das vermisst, mal mit echten Menschen, an echten Locations, mit wichtigen Themen und anständiger Organisation zusammenzukommen. So also, wie beim Marketing Tech Summit 2022 in Hamburg, zu dem Dr. Ralf Strauß und sein Team geladen haben. Dieser Einladung bin ich gerne gefolgt, spricht man dort doch meine Sprache „Tools, Automation, Change Management“ und all die Mikro-Themen, die in den letzten 12-24 Monaten deutlich an Bedeutung gewonnen haben.
Doch von vorne:
Location: Opernloft am alten Fährterminal. Was soll man sagen? Wenn man nach Hamburg eingeladen wird, dann will man doch auch große Schiffe sehen. Das Opernloft bietet aber über die Schiffe hinaus eine ganze Reihe von weiteren Vorteilen, wie z. B. einen großen Saal und die Möglichkeit in den oberen Stockwerken eine Reihe von Räumen zu Breakout-Sessions zu veranstalten. Klar, das Gebäude ist über die Zeit in die Jahre gekommen und bröckelt an der einen oder anderen Stelle, das tut der Veranstaltung aber durchaus gut, so viel Tech wie hier versammelt ist.
Auftakt: Dr. Strauß selbst führt ins Programm ein und erwähnt das erste Mal (aber nicht das letzte Mal am Tage) die Marschrichtung: Aus der Praxis für die Praxis. Kein theoretisches Blabla, sondern hard facts. Das wäre mal eine schöne Überraschung, wenn das so funktionieren würde, denke ich noch, als schon Frau Ina Offergeld von VW zur ersten Keynote schreitet und die Hürden der Transformation bei VW beschreibt. Einen Megakonzern wie VW zu transformieren, ist nun keine leichte Aufgabe, Ina Offergeld macht es den Zuhörern aber einfach zu folgen, mit klaren Follien, die klare Aussagen treffen, untermalt von Anekdoten aus der Wirklichkeit. Hier kommt heut das erste mal das Wort Daten und deren Verwendung ins Spiel. Kernbotschaft: und jetzt müssen alle markenautomat-Kunden gaaaaanz stark sein: Erst die Prozesse definieren, dann das Tool auswählen. Sorry, ich habe es immer gesagt. https://www.markenmut.de/blogpost/prozesse-sind-der-schluessel-erfolgreicher-marketing-automation/
Der nächste Speaker ist Mirko Holzer von Uptempo. Früher mal BrandMaker. Man befürchtete schon insgeheim einen seiner berühmten Sales-Pitches, wurde aber enttäuscht. Auch er spricht von der Transformation seines Unternehmens, das nach dem Zukauf von Allocadia und Hive9 in Verbindung mit BrandMaker jetzt Uptempo heißt. Und ein neues Logo samt neuer Hintergrundfarbe braucht (kleiner Insider: Die Folien waren geprägt von einem dunkel-lila-farbenen Hintergrund mit dunkler Schrift … Lesen und Erkennen war also Glückssache). Nichtsdestotrotz ist auch hier die Botschaft eindeutig: Erst Prozesse, mit einem starken Fokus auf vorhandene und zukünftige Daten, dann Tool. Man konnte ihm aber anmerken, dass ihm die Botschaft etwas schwerer fiel als Ina Offergeld.
Als nächster Punkt auf der Agenda steht eine Panel-Diskussion mit Teilnehmern aus 5 verschiedenen Unternehmen (unter anderem Media-Saturn, Obi, Otto Versand, Bitburger). Den gesamten Vortrag kann ich nicht wiedergeben, inhaltlich spricht man über die Wichtigkeit von Retail-Media, der aufgrund der Rolle in den entsprechenden Unternehmen alle Speaker hohen Wirkungsgrad beimessen. Man ist sich einig, dass es sich hierbei nicht nur um die Integration eines neuen Media-Kanals handelt, sondern weist auf die Möglichkeit zur weiteren Datensammlung über den Kunden hin. Retail Media als Enabler, die Customer Centricity noch konkreter zu integrieren. Wie genau, mit welchen Mitteln und wann, das bleibt ein Geheimnis, allein schon aufgrund der knappen Zeit von 20 Minuten. Der Kollege von Otto weist allerdings auf die Wichtigkeit der Anwälte hin, die sicherstellen können, dass die Anforderungen der DSGVO eingehalten werden. Na gut.
„Quo Vadis Omnikanal“ ist das Thema von Rolf Schumann von der Schwarz-Gruppe, der in einem kurzweiligen Vortrag mit einem gerüttelten Maß an Selbstreflexion das Thema Marketing Tech einmal von einer ganz anderen Seite beleuchtet. Nämlich nicht von der IT-/Technik-Seite. Die Transformation muss zuerst in der Organisation stattfinden. Man muss sich vollständig im Klaren sein, welche Hilfestellung bietet man seinem Kunden, oder auf Neudeutsch „Was ist der Purpose“? In einem Konzern mit zwei diametral gegenüberliegenden Retail-Marken ist der Spread der Aktionen naturgemäß größer als bei Einzelmarken. Auch hier ist das Credo: Zuerst Business Model, Strukturen und Prozesse, dann Tools.
Der Vortrag von Bernice Hueling von Castrol BP steht unter dem Credo „Enable Global Teams“. Für einen Konzern der Größe von Castrol BP hängt der Erfolg von Marketing Aktivitäten immer vom Buy-in der Teilnehmer ab. Castrol BP geht das mit einer Art „WKZ 2.0“ an, auch wenn das Produkt anders heißt. Change Management geht in meinen Augen anders.
In der darauffolgenden Pause besteht genug Gelegenheit zum Austausch über das Gehörte und die Aufnahme von Networking-Gesprächen im Foyer des Opernlofts, bevor es in die angeschlossenen Breakout-Sessions in andere Räume geht.
Ich nehme Breakout-Session 4, mit Teilnehmern von RuV Versicherung, Continental, der Sick AG und der HABA Group. Thema: Marketing Automation reloaded. Mein Thema, keine Frage. Moderiert von Thorsten Schwecke von censhare wird die Session zum kurzweiligen Event. Zusammengefasst sprechen alle Teilnehmer von ihrem Weg zur Marketing Automation in B2B Umgebungen, mit Ausnahme von Stephanie Niedung von Haba, die ihren Jako-o Case vorstellt. Beeindruckend in dem Case ist, dass man deutlich erkennen kann, wie lange so ein Prozess sich ziehen kann. Angefangen von der Aufnahme der Prozesse, über die Hinzunahme aller Stakeholder (tatsächlich der kleinste gemeinsame Nenner bei allen Vortragenden) bis hin zum Roll-Out und dem Versuch, die Offline-Kanäle mit den Online-Kanälen in Einklang zu bringen. Omnikanal scheint weiterhin ein Dauerbrenner in hybriden Organisationen zu sein. Hier bin ich sehr auf die weitere Entwicklung gespannt.
Dann kommt mein (heimlicher) Favorit des Tages. Elena Schmidt von der Sick AG, stellt die Blaupause für 90% der B2B Unternehmen vor. Der Titel ihres Vortrags „From Silos to E2E Experience: Fully Automated“. Von den Schwierigkeiten, die richtigen Themen zu identifizieren, über die Hürden bei der Integration von Länderorganisationen, dem Einbinden der richtigen Stakeholder und dem Aufdecken unterschiedlichster Prozesse in den Vertriebsorganisationen und dem Aufbau einer Marketing Automation Struktur, die diese Themen in Einklang bringt. Bei der Sick AG habt man offensichtlich verstanden, wie in solchen Projekten vorangegangen wird, auch wenn der zu beschreitende Weg nicht wirklich endet. Denn nur wer Marketing Automation als dauerhaftes Engagement versteht, wird am Ende zielführend mehr Ergebnis erzielen.
„Tear down the silos“ ist der Tenor bei Henryk Börngen von der Contintental AG. Er spricht von den Hürden bei der Identifikation von Silos und deren Überwindung. Change-Management ist hier der Schirm, der das Thema am besten umreißt. Und dass der Change bei Conti nicht nur graue Theorie ist, zeigt Henryk Börngen eindrucksvoll, indem er als Duo Mentor/Mentee auftritt, die in keinerlei geschäftlicher Beziehung zueinanderstehen, sondern sich gegenseitig inspirieren und infrage stellen. Großes Kino! So etwas sollte Schule machen.
Sascha Kämmerer von der RuV stellt sein Projekt From Zero to Hero vor. Der Aufbau eines Toolstacks in der Versicherungsbranche. Vorteile, Komplexität und Learnings auf dem Weg. Das Stack ist beeindruckend, nicht umsonst steht es auf der Liste der 3 Finalisten um den Award „Martech Stack 2022“, der heute noch verliehen werden soll.
Nach der Mittagspause geht es weiter mit Breakout Session 7, mit dem Titel „Von Data Analytics zu Data & Customer Experience – Bought und Earned Growth im Einklang“. Da das Management von Daten, Strukturierung und Herangehensweisen bei der Verarbeitung ein Kernthema in der Marketing Automation ist, halte ich diese Diskussion für sinnvoll und wichtig, gerade bei dem Teilnehmerfeld aus Hochschule. Banking und Consumer Goods.
Allen Teilnehmern gleich ist die rückwärtsgewandte Sammlung und Aggregation von Daten, um zukünftige Entscheidungen zu treffen. Prof. Hafner von der Hochschule Luzern führt zu dem Thema ein und erklärt aus wissenschaftlicher Sicht, die Herangehensweisen, bevor Renata Dadic von der Deutschen Bank Herausforderungen und Herangehensweisen in einer streng regulierten Struktur darstellt. Dass auch hier mit langen Projektlaufzeiten gerechnet wird, zeigt die Antwort auf die Frage aus dem Publikum nach der Verknüpfung von Offline-Filialen mit Online-Daten als Omnikanalen Ansatz. „Wir sind dran“. Omnikanal scheint weiterhin eine der größten Herausforderungen in hybriden Strukturen zu sein.
Wer mit Omnikanal überhaupt keine Probleme hat, ist Stefan Wolk von Fielmann. Sein Vortrag strotz vor Selbstbewusstsein, von Know-How und ist mit einigen Hinweisen auf das „How-to“ der praxis-nahste Beitrag der Session. Wohl dem, der nicht wirklich Sales machen muss, sondern vor der Aufgabe steht, seine Kunden eher von den Shops fernzuhalten, um wiederkehrende Käufe in den eCommerce zu lenken. Die Zahlen geben Stefan Wolk recht, das Unternehmen wächst geschmeidig, Marktführer ist man immer noch, im Grunde läuft alles bestens. Man ist sich aber der Herausforderung bewusst, dass das Thema „Brille“ einer starken Disruption gegenübersteht. Die Entwicklungen von Gesichtserkennungs-Software gehen steil, die Technologie für Gesichtsvermessung ist im Silicon Valley schon über den Prototypen-Status hinaus. Es ist eine Frage der Zeit, bis die Shops in A-Lagen infragegestellt werden. Ob es fünf oder zehn Jahre sind?
Nach der Pause geht es mit einem sehr kurzweiligen Vortrag von Peter Kotzur der Rehau Industries zum Thema „Vom Maschinenraum auf die Kommandozentrale“ weiter. Ein Credo, dass wir markenautomat-Berater sofort unterschreiben würden. Peter Kotzur skizziert abseits von „Marketing“-Automation, wie sein Unternehmen den Shift von „Planning by Excel & Powerpoint“ hin zu zentralisierter Planung über ein Tool geschafft hat. Auch hier wieder Thema: Silos, Prozesse und Change und eine Kernbotschaft, die nicht in viele Organisationen passen wird, aber dennoch Beachtung verdient. Um das Projekt erfolgreich zu machen und diversen Organisationen den Weg zu besserem Planning und Management aufzuzeigen hat Peter Kotzur „die Organisation wissentlich überfordert“. Mit dem Ziel, die analogen Arbeitsweisen aufzulösen und auf das Tool zu lenken. Kein Standard, aber erfolgreich. Manchmal muss es anstrengend sein, um etwas Leichtes zu entdecken.
Dann mein persönliches Highlight: Adriana Taseva von AdHash. Über die Disruption von Online-Werbung via Blockchain. Ehrlich gesagt, auch wir von markenautomat haben schon Artikel veröffentlicht, die versucht haben, das Thema Marketing und Blockchain in Verbindung zu setzen, siehe markenmut.de/toolbox. Die Fragestellung an den Raum war simpel: Vertrauen Sie google? Und den Reports, die google bereitstellt?Wissen Sie wo Ihr Geld am Ende hingeht? Und ob es dort wirklich hingeht? Am Lärmpegel im Raum kann man schon erkennen, dass keiner wirklich zu 100% bestätigen kann, wie der Hase läuft. Das Thema ist absichtlich intransparent gehalten, ist es doch das Geschäftsmodell renommierter Media-Agenturen und Vermarkter seit Dekaden. Und wie kommt jetzt die Blockchain ins Spiel? Jede Anzeige hat einen uniquen Identifier (die Hashes), diese treffen auf eine Reihe von Blacklists, bevor ihnen ein Stempel mitgegeben wird „ist wirklich kommuniziert“ und so in die Publisher Segmente gelangt. Und zwar immer getargetet im Kontext, nicht auf Personen-Ebene. So stellt man am Ende sicher, dass die Anzeige den Kunden auch im richtigen Umfeld trifft und für ihn passt. Das Konzept werden wir in den nächsten Wochen deutlich tiefergehend analysieren und berichten.
Nach dem letzten Vortrag ging es an die Preisverleihung für das beste Marketing Tech Toolstack 2022. Die drei Finalisten Biontech, Qiagen und R&V Versicherungen geben in einem 10minütigen Pitch nochmal alles, um Ihre Stacks dem Publikum schmackhaft zu machen. Am Ende gewinnt Qiagen vor der R&V Versicherung und Biontech.
Mit Sektempfang, Get together und Dinner geht der Tag zu Ende. Meiner Meinung nach ein wertvoller Branchen-Event, perfekt organisiert und zusammengestellt. Hamburg war also eine Reise wert.