Das Corpus Delicti des Marketing Engineerings
Auch wenn der Autor noch so gern Ross und Reiter benennen würde, ist es uns als anbieterneutrale Beratung ein ungeschriebenes Gesetz, keine Anklagen mit Tinte ins Netz zu schreiben. Im persönlichen Beratungsgespräch sind wir für klare Meinungen und konkrete Empfehlungen bekannt. Hier gebührt es der Anstand, ein persönliches Scharmützel zu vermeiden. Deshalb reden wir lieber über sachliche Funktionalitäten und Nutzen von MarTech Tools. Und um es auch nicht ausufern zu lassen, bleiben wir beispielhaft bei Einem von sicher Vielen solcher…
… Feigenblätter des traditionellen Marketing Managements.
Auf der Beliebtheitsskala ganz oben stehen aktuell „Corporate Design Portale“. Sie kommen mit amerikanischem Vertriebsgetöse und natürlich einer schier endlosen Referenzliste aus den Fortune 500 Unternehmen daher und versprechen eine komplett neue Work-Experience im Umgang und insbesondere in der Umsetzung von Corporate Design Richtlinien über eine Vielzahl von Stakeholdern hinweg. Prinzipiell erst einmal ein Nutzenversprechen, dass von je her ein traditionelles Grundbedürfnis in großen Konzernen und vielschichtigen Organisationen stillt. Ein einheitliches Erscheinungsbild steigert die Awareness einer Marke unter Effizienzgesichtspunkten, was Peter Behrens schon im Jahr 1907 erkannt und als künstlerischer Berater bei der AEG entsprechend umgesetzt hat. In seiner Folge wurde bis heute jedem Studenten im Grundstudium diese eiserne Regel des Markenmanagements eingebläut. Woraus sich bis heute die paradoxesten Stilblüten im operativen Marketing gebildet haben. Um nur einige aus dem Agenturalltag zu nennen:
- Selbst das letzte Einzelgewerbe mit genau einem Marketingentscheider und Umsetzer bekommt als erste Agenturleistung mal ein CD-Manual verpasst. Damit man auch morgen noch weiß, was man gestern festgelegt hat.
- Je größer das Unternehmen, desto länger die Korrekturschleifen mit der Fachabteilung Marketing zur Einhaltung der CD-Richtlinien. „Nein, im Kasten auf Seite 13 der Broschüre muss die Schrift 11pt groß sein. // Sorry, aber der Text passt nur in den Kasten, wenn wir es auf 10,5 pt setzen // Nein, keine Chance. Ans CD müssen wir uns schon alle halten….“
- Die Corporate Design Abteilung hat die Social Postings gestoppt. Sie haben zwar jetzt dreimal soviel Engagement erzielt, sind aber nicht in der gewünscht gestelzten Corporate Tonality. Das geht so nicht….
- …
Diese Reihe an Anekdoten könnte man endlos fortführen. Es ist das Ergebnis eines völligen Missverständnisses der Begriffe Markenmanagement und Markenführung. Denn. Spätestens, wenn Marketing Mitarbeiter in ihrer Ziel-Vereinbarung die korrekte Überwachung und Einhaltung von CI und CD als bonusrelevant definiert bekommen, ist Gefahr im Vollzug. Schließlich gehört die Aufgabe der Sicherstellung einer einheitlichen Wiedererkennbarkeit zum Tagesgeschäft eines jeden Marketing Mitarbeiters. Ebenso wie pünktliches Erscheinen und aktive Teilnahme ohne am Arbeitsplatz einzuschlafen.
Zurück zum Corporate Design Portal
Die mantramäßig verbreitete Daseinsberechtigung für Marketingmanager, die auf der Kontrolle zur Einhaltung von CD-Richtlinien basiert ist also zunächst einmal eine durchaus nachvollziehbare Daseinsberechtigung für ein Corporate Design Portal. Hört sich auch viel moderner an, als ein CD-Manual oder gar CD-Handbuch.
Was man dann aber beim näheren Hinschauen bekommt, ist tatsächlich ein nett aufbereitetes Handbuch, welches webfähig gemacht wurde. Sprich, es bewegt sich hier und da etwas und mittels Klappmenüs werden die Anwendungsfelder übersichtlich strukturiert. Dazu können Fluid-Motion Anwendungen natürlich deutlich anschaulicher dargestellt werden. Wer aber jetzt meint, dass die Interaktionsfähigkeit so weit geht, dass Entwürfe oder gar Layouts automatisiert auf CI-Konformität geprüft wird, der verlangt eindeutig zu viel. Denn schlussendlich ist das viel gepriesene MarTech CD-Portal nichts anderes als ein webbasiertes Manual. Böse Zungen sagen dazu „alter Wein in neuen Schläuchen“. Das Gute daran: Solche Portale mit wenig nutzen und schöner Verpackung werden als MarTech angesehen und der Marketing Entscheider kann mit Fug und Recht behaupten, dass er damit das Corporate Identity Handlungsfeld erfolgreich „digital transformiert“ hat. Dazu hat sich der entsprechende Arbeitsprozess zur Einhaltung der CD-Richtlinien grundsätzlich keinen Schritt geändert. Und das wiederum lieben Besitzstandswahrer am allermeisten.
Markenführung mit Augenmaß
An diesem Beispiel wird klar, dass es durchaus auch Blender in der MarTech Anbieter Arena gibt. Erfolgreiche sogar. Denn wer meint, dass Markenführung mit der sklavischen Einhaltung dediziert aufgestellter Gestaltungsregeln einhergeht hat eben keinen Blick für´s Ganze. Verkappte Artdirectors steigen allerdings in behäbigen Konzernorganisationen gern mal zu Creative Leadern auf, ohne die damit einhergehenden Anforderungen an Value Creating und Ergebnisbeiträgen zu liefern. Wie auch, wenn man den Bock zum Gärtner macht?
Legendär ist der Case von Coca-Cola bei der WM 1986 in Mexiko: Coca-Cola gestaltete seine Sponsorenpräsenz in Blau, Braun, Schwarz und Weiß. Warum? Kurz zusammengefasst: Weil Coca-Cola es kann. Die längere und ausführliche Antwort dazu, zitiert Ihnen gern Tobias Voigt von markenautomat bei einem persönlichen Gespräch.
Nur wer mit zählbaren Vorteilen seine Marketing Operations digital transformiert, der wird zukünftig in der ersten Reihe der Marketing Champions League spielen. Für Erfolgssucher sieht es also deutlich rosiger aus als für Misserfolgsvermeider.